Alice in wonderland - Kapitel 1
Alice grew up. So did wonderland.
Legende:
"..." - direkte Rede
//...// - Gedanken
Der kühle Abendwind wirbelte das gelbe Herbstlaub auf dem verlassenen Spielplatz ein wenig auf und spielte mit den Haarsträhnen der schmalen Gestalt auf einer der Schaukeln. Während sich die rötliche Sonne senkte, blieb alles geisterhaft ruhig um sie herum. Keine spielenden Kinder, die tobten und lachten. Keine Eltern, die ihren Kindern zuriefen, dass sie aufpassen sollten. Nur die wunderbare Totenstille. Alice stieß sich ein wenig mit den Füßen vom Boden ab und sogleich begannen die Ketten der Schaukel zu quietschen. Stumm sah sie ihre Springerstiefel und die Ringelstrümpfe an. Wenn ihre große Schwester sie so gesehen hätte. Wenn sie sich daran erinnerte, wie ihre Schwester damals mit ihr draußen unter einem schattigen Baum saß und diese für Alice seltsamen Bücher ohne Bilder las, fragte sie sich, wieso sie nicht mehr Zeit mit ihr verbracht hatte. Dieses winzige kindliche Hirn hatte damals nicht geahnt, wie schnell sich die Probleme und Sorgen auf sie stürzen würden, um sie zu verschlingen und sie zu dem machen, was sie nun war. Ihre Schwester hätte sie beschützt, aber... sie wurde gezwungen fortzugehen. Ihr Vater nahm sie einfach mit in ein anderes Land und ließ Alice allein mit ihrer Mutter, die bald nur noch bis zum Hals in Arbeit steckte. Wie sehr wünschte sie sich diese unbeschwerten Tage zurück, an denen sie träumen durfte. Träumen und wissen, dass jemand sie hielt und für sie da wäre, solange sie träumte und wenn sie aufwachte. Dieses bittere Gefühl, das sie verspürte, ließ sie auflachen. Eine Abwehrreaktion, die beim Auftauchen von unangenehmen Gedanken auftrat - der Sarkasmus.
"Vorbei, Schätzchen.", flüsterte sie. Aufgrund dieser verfluchten Verschlossenheit hatte sie es sich sogar angewöhnt, manchmal Selbstgespräche zu führen. Ziemlich lächerlich. Aber nicht nur das - sie hatte mit ihren 19 Jahren eine gewisse Arroganz entwickelt, mit der sie sich durchs Leben schlug. Was sonst sollte sie auch tun? Mit ihrem Aussehen konnte sie es sich leisten arrogant zu wirken und alle auf Distanz zu halten. 'Sobald man an jemandem hängt, erlebt man nichts als Enttäuschungen.' - war ihre Einstellung. Deshalb hielt sie sich lieber alle vom Leib.
Dieser Tag war ganz besonders. Ihre Schwester hatte Geburtstag und Alice...? Nicht einmal gratulieren konnte sie ihr. Im Grunde wusste sie nicht einmal, ob ihre Schwester überhaupt noch lebte. Hilflos faltete sie ihre Hände und legte sie auf den Saum ihres dunkelblauen Kleides mit der weißen Schürze. Das trug sie am liebsten, denn es war das Kleid ihrer Schwester, das sie damals von ihrer Schwester vor ihrer Abreise bekommen hatte - ihr eigenes Kleid. Immer noch wehte ihr der freche Wind durch die langen dunkelbraunen Haare und es fröstelte sie ein wenig. Dennoch wollte sie diesen Platz nicht verlassen. Es war doch gleichgültig, wohin sie sich begab - die Leere blieb. Menschen waren pure Enttäuschung. Ein erneut sarkastisches Grinsen huschte über ihre Lippen und die zierlichen Hände klammerten sich um die kalten Ketten der Schaukel.
"Na naa nana nana ..." Alice hob den Blick. Es schien noch jemand anwesend zu sein.
"Na na nanana naaaa ..." Der piepsige Gesang kam aus einem Busch nahe des Sandkastens. Auf eine gewisse Art hörte es sich unheimlich an und als das Mädchen sich dem besagten Busch näherte, sprang ein kleines weißes Etwas raketenartig aus dem Gebüsch auf sie zu und riss sie zu Boden. Bevor sie einen Laut ausstoßen konnte, spürte sie einen grauenvollen Schmerz im linken Brustbereich, als hätte dieses kleine Monster ihr einen Dolch hineingerammt. Wie ein Höllenfeuer brannte ihre Brust, sodass sie sich nicht einmal mehr vor Schmerz rühren konnte. Einen Moment lang schien sie wie gelähmt und sah nichts als Schwärze. So schnell wie der Schmerz kam, verschwand er auch und sie riss die Augen auf.
"Was zum Teufel...?", schrie sie erzürnt und suchte nach dem unbekannten Wesen, das sie angegriffen hatte.
" ... D-das ist doch... ", stammelte sie völlig irritiert. Es war ein... weißes Kaninchen und nicht nur irgendeines, sondern das, welches sie schon einmal gesehen hatte. Das Tier funkelte sie mit seinen kleinen roten Augen an und lachte boshaft. Es hatte wie auch damals eine Weste an, doch diesmal hielt es keine Uhr in der Pfote, sondern etwas anderes. Was, das konnte Alice nicht genau erkennen und so versuchte sie sich ihm zu nähern, was wiederum zur Flucht des kleinen Wesens führte.
"Bleibst du stehen, du Biest!" Das Kaninchen war verdammt schnell und flitzte hinter den nächsten Baum.
//Irgendwie kommt mir das alles sehr bekannt vor...//, dachte Alice und beschleunigte ihr Tempo. Nach einer Jagd durch den ganzen Stadtpark war sie dran und drauf das hinterhältige Ding zu erwischen, doch nur ein paar Schritte vor dem kichernden Kaninchen brach der Boden unter ihren Füßen zusammen. Die Erde bildete einen Schlund, der einem gefräßigen Maul glich, und verschlang Alice, die schreiend in die Tiefe stürzte.
//Ich muss völlig verrückt sein. Bin ich tatsächlich so töricht gewesen diesem kranken Vieh noch einmal zu folgen?// Alice fiel. Ja, sie fiel wieder. Langsam und traurig. Diesmal gab es nicht einmal interessante Gegenstände um sie herum, sondern nur tiefste Nacht und sie empfand es trotzdem als angenehm. Noch stiller als oberhalb der Erde war es in diesem unendlichen Brunnen. So still, dass sie ihr Herz hatte klopfen hören... - halt, kleine Korrektur: sie hätte es normalerweise hören können, aber dem war seltsamerweise nicht so. Ihr Herz klopfte nicht. Überhaupt nicht.
//Der Wahnsinn. Erst folge ich einem geisteskranken tollen Kaninchen, werde dann von der Erde verschluckt und merke, dass mein Herz nicht mehr schlägt. Besser kann mein Tag ja nicht werden. Wenn ich wieder im Wunderland landen sollte, bin ich reif für die Irrenanstalt.//, dachte sie amüsiert und richtete ihren Blick nach unten, wo schon ein kleiner Lichtschein sichtbar war. Je kleiner der Abstand zwischen ihr und diesem Lichtschein wurde, desto mehr verwandelte er sich in Feuerzungen. Wenn man von der Realität ausgeht, könnte man meinen, dass Alice verbrennen müsste, doch sie landete sanft in einem Kamin, dessen Feuer zwar loderte, aber nur als eine Art Projektion existierte; das heißt man konnte es zwar sehen, aber nicht anfassen. Woher dann der Ruß kam, den sich Alice vom Kleid abklopfen musste, ist allerdings eine andere Frage, genauso wie die nach den Eidechsen, die in genau diesem Feuer an einem Spieß gebraten wurden.
"Was machst Du denn hier? Geh sofort raus da!" Das Mädchen vernahm ein empörtes Grunzen und als sie aufsah, starrte sie direkt ein großes Schwein in einem Frack an. Unterhalb seines Rüssels hatte es einen feinen dünnen Schnurrbart und machte den Eindruck, als sei es was ganz Besonderes.
"Nicht dass ich freiwillig in dem Kamin sitze, aber bitte...!", erwiderte sie barsch und stapfte aus dem Kamin raus, nachdem sie das komische Schwein zur Seite gestoßen hatte.
"Was erlaubst Du Dir eigentlich! Bist Du die neue Magd?!... Dann an die Arbeit!", grunzte das Schwein erhobenen Hauptes und zupfte an seinem Kragen.
"Sonst noch was?!" Alice blickte sich um. "Wo bin ich überhaupt?"
"Also dümmer kann man nicht sein!" Das piekfeine Schwein machte seine kleinen in Fett eingebetteten Augen noch kleiner und antwortete dann: "In der Küche des Herzogs, wo denn sonst?... Und jetzt frag nicht so dämlich und arbeite." Zunächst wollte Alice den Raum nur verlassen, dann aber kam ihr eine Idee:
"Gut ... Heute Abend gibt's Schweinebraten..." Damit schnappte sie sich eines der scharfen Messer, die an der Wand hingen, und setzte ein fieses Grinsen auf. Ihr Gegenüber bekam jetzt im Gegensatz zur vorherigen Situation so riesige Augen, dass Alice sich darin spiegeln konnte und sauste quiekend in Windeseile aus der Küche, sodass man bald nicht einmal mehr das Klacken seiner Hufen auf dem Flur hören konnte.
Das Mädchen beschloss das Messer für alle Fälle zu behalten und nachdem sie die Küche verlassen hatte, fand sie sich in einem schmalen Flur wieder, der mit einem langen roten Teppich, sowie verschiedenen Gemälden geschmückt war. Da Alice alle Zeit der Welt hatte, durchquerte sie ihn langsam, um sämtliche Portraits eingehender zu betrachten. Auf einem war eine dürre Gestalt mit seltsam langen Fingern und einer ungesunden Gesichtsfarbe abgebildet. Aufgrund des zwar spärlichen aber eindeutig existenten Bartes musste es wohl eine männliche Figur sein, doch wer weiß das schon so genau ... Ein anderes Gemälde war das einer gemächlichen älteren Dame mit knallroten Lippen, einer überdimensionalen Frisur und höchst eingebildetem Blick. Bei diesem Portrait bekam Alice einen richtigen Lachkrampf, worauf die Dame auf dem Bild ihre schwulstigen Lippen zu spitzen versuchte, was nicht so recht klappen wollte und sie dann nur beleidigt die stark gepuderte Nase hob. Als nächstes kam ein Spiegel, mit dessen Hilfe Alice merkte, dass ihr Kleid auf der linken Seite blutbefleckt war - genau dort, wo das verfluchte Kaninchen hineingestochen hatte. War das eine Wunde? ... Solange keine Schmerzen zu fühlen waren, wollte sie das auch gar nicht erst wissen.
"Ach. Ich muss ja dieses listige Ding suchen.", fiel ihr dann ein. Wie schnell konnte man sich doch von den seltsamen Dingen im Wunderland ablenken lassen. Ganz genau, das Wunderland. Sie war sich sicher, dass sie dort gelandet war. Dort, im hintersten Eck und tiefsten Abgrund ihrer mittlerweile kranken Fantasie. Das Wunderland, das damals ein so wunderbarer interessanter Ort voller Überraschungen war. Es hatte sich verändert, so wie sie das getan hatte und eben weil sie es getan hatte. Was könnte sie dort noch alles erwarten?...
© Nami, 2006
Legende:
"..." - direkte Rede
//...// - Gedanken
Der kühle Abendwind wirbelte das gelbe Herbstlaub auf dem verlassenen Spielplatz ein wenig auf und spielte mit den Haarsträhnen der schmalen Gestalt auf einer der Schaukeln. Während sich die rötliche Sonne senkte, blieb alles geisterhaft ruhig um sie herum. Keine spielenden Kinder, die tobten und lachten. Keine Eltern, die ihren Kindern zuriefen, dass sie aufpassen sollten. Nur die wunderbare Totenstille. Alice stieß sich ein wenig mit den Füßen vom Boden ab und sogleich begannen die Ketten der Schaukel zu quietschen. Stumm sah sie ihre Springerstiefel und die Ringelstrümpfe an. Wenn ihre große Schwester sie so gesehen hätte. Wenn sie sich daran erinnerte, wie ihre Schwester damals mit ihr draußen unter einem schattigen Baum saß und diese für Alice seltsamen Bücher ohne Bilder las, fragte sie sich, wieso sie nicht mehr Zeit mit ihr verbracht hatte. Dieses winzige kindliche Hirn hatte damals nicht geahnt, wie schnell sich die Probleme und Sorgen auf sie stürzen würden, um sie zu verschlingen und sie zu dem machen, was sie nun war. Ihre Schwester hätte sie beschützt, aber... sie wurde gezwungen fortzugehen. Ihr Vater nahm sie einfach mit in ein anderes Land und ließ Alice allein mit ihrer Mutter, die bald nur noch bis zum Hals in Arbeit steckte. Wie sehr wünschte sie sich diese unbeschwerten Tage zurück, an denen sie träumen durfte. Träumen und wissen, dass jemand sie hielt und für sie da wäre, solange sie träumte und wenn sie aufwachte. Dieses bittere Gefühl, das sie verspürte, ließ sie auflachen. Eine Abwehrreaktion, die beim Auftauchen von unangenehmen Gedanken auftrat - der Sarkasmus.
"Vorbei, Schätzchen.", flüsterte sie. Aufgrund dieser verfluchten Verschlossenheit hatte sie es sich sogar angewöhnt, manchmal Selbstgespräche zu führen. Ziemlich lächerlich. Aber nicht nur das - sie hatte mit ihren 19 Jahren eine gewisse Arroganz entwickelt, mit der sie sich durchs Leben schlug. Was sonst sollte sie auch tun? Mit ihrem Aussehen konnte sie es sich leisten arrogant zu wirken und alle auf Distanz zu halten. 'Sobald man an jemandem hängt, erlebt man nichts als Enttäuschungen.' - war ihre Einstellung. Deshalb hielt sie sich lieber alle vom Leib.
Dieser Tag war ganz besonders. Ihre Schwester hatte Geburtstag und Alice...? Nicht einmal gratulieren konnte sie ihr. Im Grunde wusste sie nicht einmal, ob ihre Schwester überhaupt noch lebte. Hilflos faltete sie ihre Hände und legte sie auf den Saum ihres dunkelblauen Kleides mit der weißen Schürze. Das trug sie am liebsten, denn es war das Kleid ihrer Schwester, das sie damals von ihrer Schwester vor ihrer Abreise bekommen hatte - ihr eigenes Kleid. Immer noch wehte ihr der freche Wind durch die langen dunkelbraunen Haare und es fröstelte sie ein wenig. Dennoch wollte sie diesen Platz nicht verlassen. Es war doch gleichgültig, wohin sie sich begab - die Leere blieb. Menschen waren pure Enttäuschung. Ein erneut sarkastisches Grinsen huschte über ihre Lippen und die zierlichen Hände klammerten sich um die kalten Ketten der Schaukel.
"Na naa nana nana ..." Alice hob den Blick. Es schien noch jemand anwesend zu sein.
"Na na nanana naaaa ..." Der piepsige Gesang kam aus einem Busch nahe des Sandkastens. Auf eine gewisse Art hörte es sich unheimlich an und als das Mädchen sich dem besagten Busch näherte, sprang ein kleines weißes Etwas raketenartig aus dem Gebüsch auf sie zu und riss sie zu Boden. Bevor sie einen Laut ausstoßen konnte, spürte sie einen grauenvollen Schmerz im linken Brustbereich, als hätte dieses kleine Monster ihr einen Dolch hineingerammt. Wie ein Höllenfeuer brannte ihre Brust, sodass sie sich nicht einmal mehr vor Schmerz rühren konnte. Einen Moment lang schien sie wie gelähmt und sah nichts als Schwärze. So schnell wie der Schmerz kam, verschwand er auch und sie riss die Augen auf.
"Was zum Teufel...?", schrie sie erzürnt und suchte nach dem unbekannten Wesen, das sie angegriffen hatte.
" ... D-das ist doch... ", stammelte sie völlig irritiert. Es war ein... weißes Kaninchen und nicht nur irgendeines, sondern das, welches sie schon einmal gesehen hatte. Das Tier funkelte sie mit seinen kleinen roten Augen an und lachte boshaft. Es hatte wie auch damals eine Weste an, doch diesmal hielt es keine Uhr in der Pfote, sondern etwas anderes. Was, das konnte Alice nicht genau erkennen und so versuchte sie sich ihm zu nähern, was wiederum zur Flucht des kleinen Wesens führte.
"Bleibst du stehen, du Biest!" Das Kaninchen war verdammt schnell und flitzte hinter den nächsten Baum.
//Irgendwie kommt mir das alles sehr bekannt vor...//, dachte Alice und beschleunigte ihr Tempo. Nach einer Jagd durch den ganzen Stadtpark war sie dran und drauf das hinterhältige Ding zu erwischen, doch nur ein paar Schritte vor dem kichernden Kaninchen brach der Boden unter ihren Füßen zusammen. Die Erde bildete einen Schlund, der einem gefräßigen Maul glich, und verschlang Alice, die schreiend in die Tiefe stürzte.
//Ich muss völlig verrückt sein. Bin ich tatsächlich so töricht gewesen diesem kranken Vieh noch einmal zu folgen?// Alice fiel. Ja, sie fiel wieder. Langsam und traurig. Diesmal gab es nicht einmal interessante Gegenstände um sie herum, sondern nur tiefste Nacht und sie empfand es trotzdem als angenehm. Noch stiller als oberhalb der Erde war es in diesem unendlichen Brunnen. So still, dass sie ihr Herz hatte klopfen hören... - halt, kleine Korrektur: sie hätte es normalerweise hören können, aber dem war seltsamerweise nicht so. Ihr Herz klopfte nicht. Überhaupt nicht.
//Der Wahnsinn. Erst folge ich einem geisteskranken tollen Kaninchen, werde dann von der Erde verschluckt und merke, dass mein Herz nicht mehr schlägt. Besser kann mein Tag ja nicht werden. Wenn ich wieder im Wunderland landen sollte, bin ich reif für die Irrenanstalt.//, dachte sie amüsiert und richtete ihren Blick nach unten, wo schon ein kleiner Lichtschein sichtbar war. Je kleiner der Abstand zwischen ihr und diesem Lichtschein wurde, desto mehr verwandelte er sich in Feuerzungen. Wenn man von der Realität ausgeht, könnte man meinen, dass Alice verbrennen müsste, doch sie landete sanft in einem Kamin, dessen Feuer zwar loderte, aber nur als eine Art Projektion existierte; das heißt man konnte es zwar sehen, aber nicht anfassen. Woher dann der Ruß kam, den sich Alice vom Kleid abklopfen musste, ist allerdings eine andere Frage, genauso wie die nach den Eidechsen, die in genau diesem Feuer an einem Spieß gebraten wurden.
"Was machst Du denn hier? Geh sofort raus da!" Das Mädchen vernahm ein empörtes Grunzen und als sie aufsah, starrte sie direkt ein großes Schwein in einem Frack an. Unterhalb seines Rüssels hatte es einen feinen dünnen Schnurrbart und machte den Eindruck, als sei es was ganz Besonderes.
"Nicht dass ich freiwillig in dem Kamin sitze, aber bitte...!", erwiderte sie barsch und stapfte aus dem Kamin raus, nachdem sie das komische Schwein zur Seite gestoßen hatte.
"Was erlaubst Du Dir eigentlich! Bist Du die neue Magd?!... Dann an die Arbeit!", grunzte das Schwein erhobenen Hauptes und zupfte an seinem Kragen.
"Sonst noch was?!" Alice blickte sich um. "Wo bin ich überhaupt?"
"Also dümmer kann man nicht sein!" Das piekfeine Schwein machte seine kleinen in Fett eingebetteten Augen noch kleiner und antwortete dann: "In der Küche des Herzogs, wo denn sonst?... Und jetzt frag nicht so dämlich und arbeite." Zunächst wollte Alice den Raum nur verlassen, dann aber kam ihr eine Idee:
"Gut ... Heute Abend gibt's Schweinebraten..." Damit schnappte sie sich eines der scharfen Messer, die an der Wand hingen, und setzte ein fieses Grinsen auf. Ihr Gegenüber bekam jetzt im Gegensatz zur vorherigen Situation so riesige Augen, dass Alice sich darin spiegeln konnte und sauste quiekend in Windeseile aus der Küche, sodass man bald nicht einmal mehr das Klacken seiner Hufen auf dem Flur hören konnte.
Das Mädchen beschloss das Messer für alle Fälle zu behalten und nachdem sie die Küche verlassen hatte, fand sie sich in einem schmalen Flur wieder, der mit einem langen roten Teppich, sowie verschiedenen Gemälden geschmückt war. Da Alice alle Zeit der Welt hatte, durchquerte sie ihn langsam, um sämtliche Portraits eingehender zu betrachten. Auf einem war eine dürre Gestalt mit seltsam langen Fingern und einer ungesunden Gesichtsfarbe abgebildet. Aufgrund des zwar spärlichen aber eindeutig existenten Bartes musste es wohl eine männliche Figur sein, doch wer weiß das schon so genau ... Ein anderes Gemälde war das einer gemächlichen älteren Dame mit knallroten Lippen, einer überdimensionalen Frisur und höchst eingebildetem Blick. Bei diesem Portrait bekam Alice einen richtigen Lachkrampf, worauf die Dame auf dem Bild ihre schwulstigen Lippen zu spitzen versuchte, was nicht so recht klappen wollte und sie dann nur beleidigt die stark gepuderte Nase hob. Als nächstes kam ein Spiegel, mit dessen Hilfe Alice merkte, dass ihr Kleid auf der linken Seite blutbefleckt war - genau dort, wo das verfluchte Kaninchen hineingestochen hatte. War das eine Wunde? ... Solange keine Schmerzen zu fühlen waren, wollte sie das auch gar nicht erst wissen.
"Ach. Ich muss ja dieses listige Ding suchen.", fiel ihr dann ein. Wie schnell konnte man sich doch von den seltsamen Dingen im Wunderland ablenken lassen. Ganz genau, das Wunderland. Sie war sich sicher, dass sie dort gelandet war. Dort, im hintersten Eck und tiefsten Abgrund ihrer mittlerweile kranken Fantasie. Das Wunderland, das damals ein so wunderbarer interessanter Ort voller Überraschungen war. Es hatte sich verändert, so wie sie das getan hatte und eben weil sie es getan hatte. Was könnte sie dort noch alles erwarten?...
© Nami, 2006
BeastPrincess - 29. Aug, 22:47